Bei den Sessions auf einem Meditations-Camp in England, aber nicht nur dort, war ein Phänomen zu beobachten, bei dem die englischen Freunde die Bezeichnung ‚Space-Cadet’ verwendeten. Gemeint ist das Auftreten von Trance bei Teilnehmern von spirituellen Übungen.
In der Folge stellte sich die Frage, ob Trance mit einem Zustand von ‚samadhi’ oder ‚fana/baqa’ vergleichbar ist. Ob ‚samadhi’ und ‚fana/baqa’ vergleichbar sind, kann sicher nur jemand beantworten, der beide Zustände aus eigenem Erleben kennt. Ansonsten bliebe es Spekulation. Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen ‚Trance’ und ‚Meditation’ oder deren Zielrichtung.
Insgesamt betrachtet fällt es schwer, eine klare Trennungslinie zwischen den Zuständen zu ziehen. Zumindest scheinen sie einen gemeinsamen Startpunkt zu besitzen, um dann entweder zu verharren oder in einen weiteren Zustand überzugehen. Nicht umsonst existiert in der Mevlevi tariqa die Institution des semazen-bashi (Tanzmeister). Eine der vielfachen Aufgaben des semazen-bashi ist es, während einer sema den Zustand der semazen (Tänzer) zu beobachten. Sollte ein semazen entgegen der eigentlichen Zielvorstellung in Trance fallen und auf die steuernden Gesten des semazen-bashi nicht mehr adäquat reagieren, wird der semazen-bashi dem Betreffenden eine Hand auf eine Schulter legen und ihn bis zum Abklingen der Trance aus dem Kreis der sema entfernen.
Als sicher kann jedoch gelten, dass Trance weder ‚samadhi’ noch ‚fana/baqa’ darstellt. Für Trance existiert zwar keine allgemeingültige Definition, allerdings lassen sich auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner Fixpunkte festlegen. Diese findet man z.B. bei Wikipedia:
Jede Trance ist in unterschiedlich starker Intensität mit einer Einengung des Bewusstseins verbunden. Die Sinneswahrnehmungen und das Gefühl der persönlichen Identität – das Ichbewusstsein – werden vorübergehend stark eingeschränkt oder ganz ausgeblendet.
Trancen führen zu verschiedenen vorübergehenden Phänomenen wie:
- geistiger Einengung von Wahrnehmung und Aufmerksamkeit
- entweder negativen- (Ausblenden realer Dinge) oder positiven Halluzinationen (Einbilden irrealer Dinge)
- deutlich verringertem oder aber gesteigertem Erinnerungsvermögen
- verändertem Zeitempfinden (Dehnung oder Stillstand)
- speziellem Gefühl der Kontrolle
- besonderer Emotionalität
und körperlichen Veränderungen:
- verändertem Muskeltonus (entweder Starre oder Hyperaktivität)
- unwillkürlicher Bewegungen (z. B. Carpenter-Effekt)
- Schmerz- und Empfindungslosigkeit
Bei allen tranceartigen Bewusstseinszuständen können ähnliche neurologische und körperliche Prozesse beobachtet werden. So ist der Beginn der Trance durch Steifheit des Körpers, Schwitzen und schweres Atmen gekennzeichnet. Für die mentalen Zustände haben David Lewis-Williams und Thomas Dowson 1988 das folgende ‚neurologische Modell’ beschrieben.
Trance und andere Rauschzustände werden durch ‚Hyper-Erregung’ oder einen ‚Hyper- Ruhezustand’ erreicht. In beiden Fällen kommt es zu einer Verlangsamung der summierten elektrischen Aktivität im Gehirn. Die Bewusstseinsveränderungen gliedern sich nach dem neurologischen Modell in drei Phasen:
In der ersten Phase werden geometrische Formen wie Punkte, Zickzackstreifen, Gitter, parallele Linien und Mäanderlinien wahrgenommen. Diese Erscheinungen werden als Phosphene (‚eingebildete Lichtwahrnehmungen’) bezeichnet.
In der zweiten Phase entstehen verschiedene geometrische Formen, die von den Betroffenen – je nach ihrem kulturellen oder religiösen Hintergrund – als sinnhafte Symbole aufgefasst werden.
In der dritten Trancephase erscheint eine Art Strudel oder wirbelnder Tunnel, der den Menschen anzusaugen scheint. In dieser Phase werden tiefreichende Erfahrungen wie synästhetische Wahrnehmung (Verschmelzen verschiedener Sinnesreize), das Verlassen des eigenen Körpers oder das Eintreten in andere Wirklichkeitsebenen (‚Jenseits’, ‚Geisterwelt’ u. ä.) erlebt. Die Eindrücke dieser dritten Trancephase werden auch häufig von sogenannten Nahtoderfahrungen berichtet.
Meditation ist dagegen etwas völlig Anderes als Trance. In der indischen Tradition des Yoga könnte man ein Äquivalent zu Trance finden: ‚bhava samadhi’, was der ähnlichste Begriff sein könnte. Manchmal wird mit ‚Trance’ bezeichnet, dass man eventuell durch eine andere Seele besessen ist. Das ist allerdings nicht wirklich zutreffend – obendrein hat das Erleben von Trance spirituell letztendlich keine tiefere Bedeutung, und beinhaltet auch nicht das Erleben einer tiefergehenden Wahrheit.
‚Bhava’ bezeichnet in diesem Kontext den Zustand, in dem man sich in seinen geistigen und emotionalen Gefühlen befindet und verliert. ‚Samadhi’ könnte in diesem Kontext die Bezeichnung des Zustandes eines Stillstandes bezeichnen.
Meditation bedeutet dagegen, dass man sich über alle Arten von ‚bhava’ erhebt und einen Schritt auf eine authentische Erfahrung zugeht. Wenn dagegen eine Person ausschließlich emotional versucht, sich bei Übungen der ‚Versenkung’ zu vertiefen, was bei Menschen geschehen kann, die eine Art hingebungsvolle Praxis bevorzugen, landen sie meist unweigerlich im Zustand des ‚bhava samadhi“.
Das hat zur Folge, dass der mind (Geist) zwar zum Stillstand kommt, jedoch in eine Art von Phantasie ausweicht. Zu diesem Zeitpunkt könnte eine Person das Gefühl erleben, von einem Ruck durchfahren zu werden, eine Art von Begeisterung zu erleben und eventuell den Körper in einem Gefühl der Glückseligkeit zu bewegen. Das ist allerdings nur eine Art Vorstufe, bevor man zur eigentlichen Meditation gelangt.
In der Meditation erreicht man die vollständige Gelassenheit des Geistes, jenseits all dieser Emotionen. Durch die Meditation erst gelingt es schließlich, das höhere Ziel zu erreichen. Um es in einem Bild auszudrücken – ‚bhava samadhi’ ist wie das Schenken von einem Stück Schokolade, um ein Kind zu motivieren, zur Schule zu gehen – oder einen Lutscher anzubieten, damit man sich auf die spirituelle Schulung einlässt und sich schließlich auf die ernsthafte Praxis der Meditation einlässt. In der Mehrzahl reicht es Menschen, beim Schlecken von Lutschern stecken zu bleiben und nicht auf die spirituelle Schule zu gehen – diese Menschen werden dann allerdings nicht lernen, ihr volles Potential auszuschöpfen. Meditation ist der Weg, der einem helfen kann, zu erreichen, was man erreichen wollte.
In allen Sufi-Orden (turuq), egal ob aṣnaf (Gilden) oder futuwwat (Bruderschaften), gibt es turuq, die einen Zustand des Rausches (sukr) anstreben, und andere, die sich auf den Zustand der Nüchternheit (ṣaḥw) konzentrieren.
Die Berauschten folgen gewöhnlich den Lehren des persischen Sufi Meisters Abū Yazīd Baṣtāmī. Der Gründer der ekstatischen Richtung des Sufismus/tasawwuf ist berühmt für seine Anschauung, mit der er das völlige Versunkensein des Mystikers in der Gottheit ausdrückt.
Kennzeichnend für diesen Zustand, der den Mystiker vorübergehend erfassen kann, ist, dass man Verstand und Selbstbeherrschung verliert. Die Seele wird berauscht, weitet sich durch den Wein der Erkenntnis des Göttlichen, und ist hingerissen von der Kontemplation Gottes oder dem, was sie dafür hält.
Die andere Gruppe ist für ihre Nüchternheit bekannt. Für ihre Gefolgschaft, die zahlenmäßig größer ist als die der ersten Gruppe, stellt der Rausch lediglich den Anfang der Erfahrung einer Einheit mit dem Göttlichen dar.
Vollkommene Einheit kann letztendlich nur nüchtern erreicht werden, wenn man, wieder bewusst, sich selbst als Spiegel erkennt, in dem sich die göttliche Essenz selbst reflektiert. Ansonsten verliert man sich in Zuständen, die weiter oben beschrieben sind. Und ist ‚space cadet’.
Die beiden Stationen verhalten sich nach Ibn al-Fāriḍ wie folgt zueinander: „Das Dasein ist am Anfang des mystischen Lebens und in seiner Mitte ein Schleier, aber nicht an seinem Ende. Den Mystiker trennt am Anfang der Schleier des äußeren Aspekts des Daseins vom inneren Aspekt, wahrend ihn im mittleren Zustand (im Rausch, in dem sich der Mystiker der Erscheinungen nicht bewusst ist) der Schleier des inneren Aspekts (Gott) vom äußeren (geschaffene Dinge) trennt.
Doch hat er sein Ziel (Nüchternheit) erreicht, trennen ihn weder die Schleier der geschaffenen Dinge von Gott, noch umgekehrt, sondern Gott offenbart sich dem Mystiker in seinen beiden Aspekten zugleich (als Schöpfer wie als Universum geschaffener Dinge), damit er mit leibhaftigen Augen die Schönheit der göttlichen Essenz mittels des Attributs des Äußeren manifestiert sieht.“ (Nicholson, Reynold, Studies in Islamic Mysticism, Cambridge 1967)